Beziehungskiller Gurke

Die soziale Interaktion von Pärchen in ihrer elterlichen Transformationsphase erinnert mich stark ans Paviangehege im Kölner Zoo – Laut, wuselig, gereizt und haarig.

Was passiert hier? Was habe ich verpasst? Eben noch ein perfekt eingespieltes Team und jetzt gehen alle Pässe ins Leere oder man wählt instinktiv die falsche Laufrichtung. Das romantische Instinktspiel weicht einem Pragmatismus, einer eingespielten Choreographie. Beziehungstaktische Automatismen sind nun gefragt. Diese während der Englischen Wochen kurz vor der Geburt einzutrainieren fällt schwer. Jetzt kommen die Momente, die aus einem gestandenen Mann einen gebrochenen Teenager machen.

Es gibt Dinge, die lernt man nur durch Spielpraxis. Training und Besprechungen können den Ernstfall nur simulieren. Problematisch wird es immer, wenn gleich zwei Silberrücken in einem Team spielen. Stellt euch doch mal zwei Zlatan Imbrahimovics in einer Mannschaft vor. Das kann nicht gut gehen. So ist es bei mir auch gewesen. Meine Frau und ich sind beide Sturköpfe und mit dem „letzten Wort“-Gen ausgestattet. Was die Schwangerschaftsphase anbetrifft, müssen die Karten aber neu gemischt werden. Someone has to go!

Aber was hat das alles mit der Gurke zu tun? Die Gurke ist für mich ein Sinnbild für den Zustand der ständigen Gereiztheit. Ganz simpel: Ich mache meiner Tochter ein Käsesandwich zum Abendessen. Als ich sie gerade zum Essen zitieren will, fügt meine Frau an, dass ich doch ein paar Tomaten oder Gurken schnibbeln könnte. Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Also packe ich die Utensilien aus und mache mich an die Arbeit. Die Kirschtomaten schaffe ich unter strengen Beobachtung meiner Frau noch selber. Ich rieche aber, wie sie mich beobachtet. „Hast du auch das Grünzeugs entfernt?“. Ich wusste, dass sie das fragen würde. Aus diesem Grund habe ich sie mit Weitblick widerwillig chirurgisch entfernt. Was spricht eigentlich gegen den Verzehr von Wurzelüberrsten im Nanobereich? Ich weiß es nicht…*


Nun zu den Gurken.

Ich hole die Biogurke, die in industrielles Plastik eingewickelt ist, und bin ready 4 schälen. Aus der Peripherie erkenne ich sofort die Blicke meiner Frau. Ich weiß, was sie denkt, während ich das Schälen ansetzen will. Ich bin offensiv und spreche sie direkt an. „Du willst, dass ich die Gurke vor dem Schälen wasche, richtig?“. „Richtig“, antwortete sie mir furztrocken ins Gesicht. Mir wird schnell bewusst, dass wir uns an einer entscheidenden Weggabelung befinden. Für eine Zehntelsekunde fühle ich mich wie Uma Thurman bei Kill Bill. Warum will diese Frau, dass ich die Gurke wasche, obwohl ich die Schale entfernen werde? Seit wann haben Bakterien Schaufeln und graben Tunnel? Schnell wechsel‘ ich die Szenerie und werde zum Dude. Ich entscheide mich zu kuschen! Manchmal muss man schlucken, um Schlimmeres zu verhindern.  Ich unterbinde meine schlagenden Argumente und wasche unter körperlichen Schmerzen präemptiv die Gurke in der Spüle. Erniedrigung nennen es die Einen, ich nenne es Ehehygiene.

Ob Gurken, Heizung, Klamotten oder Haushalt – vieles ändert sich und Fehler werden gnadenlos gemeldet. Daran muss man sich gewöhnen, sei es noch so abstrus. SPON titelte mal Beziehungskiller Baby – so weit will ich nicht gehen. Denn neben dem ganzen Stress und den vielen Konflikten, sind wir doch eine große Affenfamilie, die einander gern hat. Der Matchplan geht nur auf, wenn jeder weiß, wo er zu stehen hat. Nicht jeder kann im Sturm spielen. Die Phase ging vorbei und ich musste auch lernen, dass man nicht ewig der zottelige Student bleiben kann. Das Leben ändert sich, die Gurke bleibt.


* Ja, die grünen Stellen an der Tomatenfrucht enthalten ein giftiges Alkaloid, Solanin genannt. Aber man muss schon Unmengen davon verdrücken, damit die toxische Wirkung eintritt. Quelle Zeit.de

LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

6 Antworten

  1. Im Rahmen meiner Masterarbeit (Psychologiestudium) führe ich eine Umfrage zum Thema durch http://regretting-fatherhood.jimdo.com/

  2. Im Rahmen meiner Masterarbeit (Psychologiestudium) führe ich eine Umfrage zur Thematik „Unzufriedenheit mit der Vaterschaft“ durch http://regretting-fatherhood.jimdo.com/

  3. Cecilia sagt:

    Ja, das beste ist wirklich, das Leben ändert sich. Konstant. Das beruhigt, nicht wahr. Guter Bericht, danke.

  1. 21. Juni 2016

    […] wird mein Kampfgeist geweckt. Ich will es aus Prinzip durchziehen, auch wenn es keinen Sinn macht. Das ist übrigens der gleiche Urinstinkt wie bei meiner Gurken-Situation. Letztens habe ich mal auf die Uhr gesehen. Ab dem Moment, vom Verlassen des Schwimmbeckens, bis […]

  2. 6. Dezember 2016

    […] unseren Blog verfolgt, hätte spätestens bei meinem „Beziehungskiller Gurke“-Beitrag“ ahnen können, dass meine liebe Frau wieder schwanger ist. Es gab Phasen während der […]

  3. 18. Oktober 2019

    […] mir eure Kommentare! Wir waschen, hegen und pflegen unsere Kinder. Seit der von mir beschriebenen Gurkensituation wisst ihr ja, wie overprotektionistisch meine Frau ist. Nichtsdestotrotz: Es bringt einen Scheiß! Hast du […]

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