Herz vs. Verstand – Vaters Erkenntnisse aus der zweiten Schwangerschaft

Beim Zweiten wird man gelassener, haben sie gesagt.

Beim Zweiten weiß man, was auf einen zukommt, haben sie gesagt.

Beim Zweiten hat man weniger Ausgaben, hat SIE gesagt.

Machen wir es kurz: das alles ist faktisch korrekt, aber in meiner Lebenswirklichkeit substanzlos. Warum die zweite Schwangerschaft in einer emotionalen Flatline verlief, ich mich mit meiner Frau ständig in die Haare bekam und was das alles mit Beamtentum zu tun hat, werde ich euch jetzt im Rahmen meiner #ThrowBackDaddy-Reihe erzählen.

Klassische Konflikte in einer sonst intakten Beziehung

Wer unseren Blog verfolgt, hätte spätestens bei meinem „Beziehungskiller Gurke“-Beitrag“ ahnen können, dass meine liebe Frau wieder schwanger ist. Es gab Phasen während der Schwangerschaft, die unsere Dialogkultur auf Trumpsches Niveau hob. Dabei waren es immer die Klassiker des Kalten Beziehungskrieges. Ich schludrig, vergesslich und unzuverlässig, sie vorausschauend und „erwachsen“. Voll die stereotypischen Klischees, das ist mir bewusst.

Schwangerschaftshormone haben beide: Väter und Mutter

Ab dem sechsten Monat fing das Spiel von vorne an:

Wir brauchen Abstellflächen für die Klamotten, neue Spucktücher, eine Wippe, einen Maxi Cosi, die alten Klamotten, wir brauchen, wir brauchen…

Abarbeiten von To do-Listen, Organisation der Basisindikatoren und die Akquisition von Gütern, die ins Geld gehen. Alles nichts gegen den Gang ins Archiv des Schreckens: Der Speicher und Keller mit kiloweise Kinderklamotten – unbeschriftet, unsortiert und unvollständig. Noch heute – neun Wochen nach Geburt unseres Sohnes – suchen wir im dunkel-feuchten Verließ gewisse Jacken und Bodys aus Anno 2011. Unauffindbare Ware wurde entweder ausgeliehen und nicht zurückgebracht (der Klassiker) oder im Kinderkleidungssumpf trocken gelegt. Wenn jemand eine rote Winterjacke aus Schafswolle in Größe 68 findet, bitte melden. Es müsste Mona im Etikett draufgekritzelt sein.

Ich tat mein bestes, täuschte Interesse vor und organisierte Lösungen, um gleich darauf die nächste Aufgabe vor den Latz geknallt zu bekommen.

Ich will keine Schulterklopfer, keine Schönwetter-Daddy-Analogie bedienen und ein Held bin ich auch nicht, etwas Verhältnismäßigkeit wäre mir aber lieb gewesen. Auf eine belehrende dritte Mutter hatte und habe ich einfach bedingt Lust.

Andererseits bin ich kein Heiliger. Ich gebe zu, dass meine Motivation etwas zu wünschen übrig ließ. Ich sprang nur so hoch ich musste.

Ich hatte meine Gründe…

Die Forderungen meiner Frau waren keine Frage von Recht und Unrecht. Sie waren pragmatisch, effizient, zielführend und sinnvoll. Aber eins waren sie bestimmt nicht: Leidenschaftlich. He? Leidenschaft? Was labert der Jammerlappen da?? Nenn‘ es Romantik, Begeisterung, Emotionalität oder gludernde Lot. Es gibt Menschen die brauchen so etwas, um zu funktionieren. Ich gehöre dazu.

Pa̱·thos: Substantiv [das] – Ausdruck feierlicher Ergriffenheit, der übertrieben wirkt

Wenn ich wenig Leidenschaft für eine Sache verspüre, bin ich nur halb so gut. Leben wie ein Beamter, business as usual, funktioniert bei mir nicht. Während der zweiten Schwangerschaft überwogen die nackten Zahlen, eine kühle Programmatik, eine Brokermentalität mit der Quelle des Lebens. Das hatte zur Folge, dass ich auf den Druck meiner Frau nur mäßig reagierte, er prallte an mir ab. Ich hörte teilweise überhaupt nicht zu. Ja, ich gab mir nicht einmal Mühe, so zu tun als ob ich zuhören würde. Packte mich mal ein schwacher Moment, gab ich argumentativ belastbare Gegenargumente, hielt ausgefeilte Plädoyers a la Matlock und baute meine Verhandlungsstrategie auf fundamentale Grundprinzipien unserer aufgeklärt pluralistischen Gesellschaft auf. Das alles natürlich ohne Erfolg.

Der wahre Grund meiner Schwangerschafts-Demenz

Die fehlende Leidenschaft war das Eine. Das Wissen aus der ersten Schwangerschaft ein weiterer Downer und vielleicht der wahre Grund meiner Schwangerschaftslethargie. Wir hatten mit unserem ersten Kind einen holprigen Start. Nichts gesundheitliches. Über die Gründe will ich aus Respekt nicht sprechen. Aber eins kann ich sagen: Es hat einige meiner Synapsen auf dem Gewissen. Ich bin seither nicht mehr so gelassen, habe eine kürzere Zündschnur, bin ungeduldiger.

Es hat seine Zeit gedauert bis ich realisierte, dass nicht meine Frau, sondern ich selber an meiner Schwangerschafts-Demenz schuld war. Ich wusste, was mich erwarten könnte und hatte extreme Demut, ja sogar Angst, vor den ersten Monaten nach der Geburt. Ich wollte gar nicht daran denken, also verdrängte ich den Umstand, dass ich bald Vater von zwei Kindern sein würde. Da ich keinen Bauch vor mir hertrug, der mich auf Schritt und Tritt daran erinnerte, klappte diese Strategie ganz gut – bis ich nach Hause kam. Dann dämmerte es mir wieder.

Deswegen habe ich versucht, dass „alte“ Leben so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Ich war mit meiner Tochter alleine im Urlaub in Griechenland und habe die letzte Zeit mit ihr bewusst wahrgenommen und genossen. Ich war auf vielen Partys mit meinem Studenten-Kollegen und besuchte häufig das Stadion des glorreichen 1. FC Köln! Das letzte Mal ein Tag vor der Geburt. Ein besseres Timing kann man sich nicht ausdenken.

Jetzt wird das alles wieder warten müssen. Ein Bekannter sagte mir, dass es aber nicht sehr lange dauert. Nur 1-2 Jahre…

Ich schaltete auf Autopilot. Mutierte zum Beamten. Wurde faul. Das bereu‘ ich nun ein wenig. Die Schwangerschaft war gut verlaufen, alle waren fit, meiner Frau ging es ganz gut. Aber ich hatte nur die schlaflosen Nächte und das Geplärre im Kopf. Idiot!

Es geht auch anders

Während der ersten Schwangerschaftsphase war ich total commited. Ich ließ vieles beanstandslos zu, erledigte alles zur vollsten Zufriedenheit, egal wie irrational mir die Tätigkeit vorkam. Stets senkte ich meinen Kopf und sagte in Tim Taylorischen-Mantra „Ich verstehe“. Das passte immer. Ich ging in meiner Rolle als werdender Vater auf. Hormone overload!

Sah ich während der ersten Schwangerschaft Väter mit Kindern auf der Straße, wurde ich schnell sentimental und dachte an mein zukünftiges Ich. So gefühlskalt es auch klingen mag, das war bei der zweiten gewollten Schwangerschaft nicht immer so. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Frau und ich voll berufstätig, hatten unsere Freunde und Beziehung wieder und lebten ein „relaxtes“ Leben mit einer tollen viereinhalbjährigen Tochter. Das alles hinter sich zu lassen, war eine Überwindung, die mir (jaja, und ihr) nicht leicht gefallen ist. Da bin ich Egoist, und ehrlich genug es auch zuzugeben. Falls mein Sohn das irgendwann lesen sollte. Ich liebe dich, mein Kleiner! Du kannst froh sein, dass du so unglaublich sympathisch aussiehst.

Luxusproblem Vatersein

Grundloses Gemecker. Heulsusenmentalität. Luxusprobleme. Verwöhnte Machos. Ja, wir Männer haben keinen Grund uns zu beschweren. Jeden Tag bekommen wir Schulterklopfer, weil es ausreicht mit unseren Kindern unterwegs zu sein. So niedrig sind die Erwartungen an uns. Traurig genug. Eingepackt in Watte, machen wir uns banale Gedanken über Freizeit und anstrengende Babymonate. Mich eingeschlossen. Lächerlich, aber so ist es nun mal. Wir regen uns über Dinge auf, auf die wir zeitweise verzichten müssen, und vergessen dabei, dass vor allem Frauen seit Jahrzehnten in der Champions League des Verzichts spielen.

Ja, ist angekommen.

Unterhalte ich mich mit Vätern, wird oft der Beziehungsstress und der ständige Konflikt zwischen beruflichen und väterlichen Pflichten als Belastung empfunden. Der fehlende Mut für andere Prioritäten, für mehr Kinder- und weniger Arbeitszeit, macht uns alle nachdenklich und wird zwangsläufig zu einer Umkehr führen, die bereits heute, wenn auch auf einem sehr niedrigen Niveau, stattfindet.

Eine Bekannte meinte zu mir, dass das erste Kind eine Herzens- und das zweite eine Kopfentscheidung sei. Ob etwas dran ist, muss jeder für sich selbst beantworten.

Das wird schon wieder, haben sie gesagt… und sie haben ausnahmsweise Recht gehabt!


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LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

7 Antworten

  1. Kim sagt:

    Sehr schöner und wahrer Beitrag. Und ich kann sagen er trifft sogar mehr auf mich als Mutter zu als auf den Papa…

  2. Paul sagt:

    Sehr schöner und lustiger Beitrag 🙂
    MAcht weiter so.
    Grüße Paul

  3. Dyana sagt:

    …nicht um den heißen Brei reden…gefällt mir!!!Ich mag wie du schreibst!

  4. max sagt:

    wahre worte und du bist nicht allein … ich fühle mit dir und verstehe dich

  1. 11. Oktober 2017

    […] Bereits im ersten Buch von Rike sah ich viele Parallelen zu meinem Elterndasein. Ich schätze, dass ich da nicht alleine bin. Wir haben mit unserem ersten Kind ein temperamentvolles Exemplar abbekommen. So beschreiben es Pädagogen. Rike würde schreiben, dass es ein besonderes Kind ist mit vielen Gefühlen ist (S. 93). Ihre These „EIN Kind ist KEIN Kind, wenn man das richtige erwischt hat“ (S. 101), kann ich unterstreichen. Das empfinde ich ähnlich. Rike hat Recht, wenn sie schreibt, dass bei der zweiten Schwangerschaft weitaus mehr Pragmatismus am Werk war. Ich habe ähnliches erlebt und auch hier verbloggt. […]

  2. 23. Oktober 2017

    […] bereits häufiger gefragt. Die Entscheidung, ob wir versuchen wollen ein zweites Kind zu bekommen, fiel im Kopf und weniger im Herzen.  Pragmatismus hin und her: 12 Monate nach der Geburt bin ich vor allem eins: sehr glücklich […]

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