Abenteuer Reisen: Griechenland

Besser hätte es die aktuelle Version des Magazins „Abenteuer und Reisen“ nicht auf den Punkt bringen können. Das Special über die griechischen Inseln ist ein redaktionelles Glanzstück. Das Timing passt. Nur das Cover müsste mit brennenden Tonnen vor dem Syntagma-Platz (Platz vor dem griechischen Pseudoparlament) ersetzt werden.

#Grexit_Ich_Bin_Dein_Vater_Blog

Magazin: Abenteuer und Reisen 8/2015

Wenn ich früher Unbekannten sagte, dass ich Grieche sei, dann gab es immer lustige Storys über Schtavrosch aus Schaloniki und wie lecker sein Mousaka war. Nenne ich heute meine Herkunft, scheint es den meisten Menschen peinlich zu sein, gefragt zu haben. Als ob ich eine ansteckende Krankheit hätte. Das ist krank!

Es ist tatsächlich eine Tragödie die sich abspielt. Nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa. Alle Seiten können sich nicht gerade mit Ruhm bekleckern.

Wie manche von euch wissen, bin ich gebürtiger Grieche. Meine Eltern und meine Verwandten sind alle Vollblutgriechen. Die Abwicklung eines demokratischen Landes so nah an Deutschland ist erschreckend – und extrem traurig. Ich mache mir große Sorgen. Umso mehr regen mich Korrespondenten, Bekannte, Politiker und Finanzverwaltungsbeamte auf, die den Austritt Griechenlands als „verkraftbar“ für die internationalen Märkte beschreiben. Unter dem Deckmantel des europäischen Zusammenhalts dehumanisieren sie das, was wir Europäische Gemeinschaft nennen. Ich dachte immer, dass Europa mehr sei als eine Wirtschaftsgemeinschaft. In erster Linie ist es für mich kein finanzielles Drama, es ist eine gesellschaftliche und vor allem politische Krise. All diese Talkshowgäste, die Woche für Woche das Gleiche erzählen, schreien nach einem Bullshit-Bingo-Special. Lest das durch. Dann braucht ihr keinen Brennpunkt mehr zu sehen.

Bullshit_Bingo_Talkshows_Griechenland

Ich will mich gar nicht über die Details auslassen. Da gibt es andere, kompetentere Personen. Über das Ergebnis rege ich mich aber auf! Wenn Griechenland aus der Euro-Gruppe austritt, mag das vielleicht für den Mitteleuropäer verkraftbar sein. Für die gesamteuropäische Idee, das griechische Volk und andere wankende Staaten, ist es der Anfang vom Ende. Ich bin froh, dass Johnny Haeusler, Mitbegründer der re:publica, einen Aufruf zur digitalen Solidarisierung gestartet hat.

Wir brauchen Solidarität und Empathie jenseits des Taschenrechners. Johnny Haeusler

Man solle weniger über Zahlen und Geld sprechen und mehr über die Schicksale der Menschen vor Ort. Davon sei in den sozialen Netzwerken nicht viel zu spüren. Wie sind die Lebenssituationen der Griechen? Wie kommen sie zurecht? Diesen Aufruf unterstütze ich aus ganzem Herzen.

Meine Eltern sind Rentner und fahren jedes Jahr für etwa 2-3 Monate nach Griechenland. Bevor die Söders und Rolf-Dieter Krauses dieser Welt jetzt wieder sagen „Den geht es zu gut!“, sollte erwähnt werden, dass sie in Deutschland gearbeitet und Steuern gezahlt haben. Auch ich fahre jedes Jahr nach Griechenland. Dort habe ich als Kind zwei wundervolle Jahre verbracht. Neben Verwandten habe ich auch zahlreiche Freunde, auf die ich mich jedes Jahr freue. Ich mache dort keinen klassischen Urlaub, ich führe ein normales Leben mit sozialen Verpflichtungen und viel Spaß.

Die Entwicklungen der letzten Monate machen mir zu schaffen. Jetzt auch noch das Referendum am Sonntag, von dem keiner weiß, was es überhaupt bewirken wird. Schließlich läuft die Deadline für das Rettungspaket Ende Juni aus. Was passiert wenn Griechenland nächste Woche seinen Staatsbankrott anmelden muss? Wenn die EZB die Geldpipeline dicht macht? Wenn die Kredite an den IWF nicht mehr bedient werden können? Was passiert, wenn dann die Drachme eingeführt werden muss? Ganz ehrlich: Würdet ihr noch zur Arbeit gehen, wenn ihr wüsstet ihr werdet mit einer Währung bezahlt, die de facto nichts wert ist?

Mitten in diese Umwälzungen fällt mein Urlaub. Ganz pragmatische Fragestellungen türmen sich in meinem geistigen Auge auf: Streiken die Fluglotsen? Wird das Bodenpersonal der staatlichen Flughäfen überhaupt die Abfertigung vornehmen? Gibt es genug Benzin? Genug Lebensmittel? Medikamente? Natürlich mache ich mir meine Gedanken. Die meisten sind unbegründet. Ich fahre also auf jeden Fall hin. Auch aus Solidarität, aber vor allem aus purer Sehnsucht.

Vor allem bin ich auf die Gespräche mit Freunden und Verwandten gespannt. Meine Sandkastenfreunde sind allesamt arbeitslos. Das deckt sich auch mit der mittlerweile 60 Prozent hohen Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland. Jahrelang arbeiteten sie in Restaurants, Bars oder Fabriken. Jetzt arbeiten dort – wenn sie nicht schon dicht gemacht worden sind – nur noch Verwandte der Inhaber und meine Freunde mussten weichen. OK, zugegeben, die meisten meiner Freunde haben nichts Anständiges gelernt, wie man sagt. Sie sind Arbeiter. Sie und ihre Familien leben teilweise von einer Rente. Das muss man sich mal vorstellen. Das Renteneintrittsalter, was Bosbach so öffentlichkeitswirksam beim Jauchschen Stammtisch herausposaunt hat, liegt nicht bei 56, sondern laut OECD bei 61,9 Jahren. Jetzt ist es aber in der Welt und jeder schreit: „Genau! Diese faulen Rentner!“. Rund 45 Prozent der griechischen Renter sollen weniger als 665 Euro monatlich bekommen und somit unter der Armutsgrenze liegen.

Wer hätte gedacht, dass mein Griechenlandurlaub zum Abenteuer werden könnte. Aber so ist es. Die Krise war schon in den letzten Jahren zu spüren, jetzt wird es aber ernst. Die Radikalisierung wird zunehmen. Meine Freunde werden immer extremistischere Ansichten vertreten und ich als Volldemokrat kann dem nur wenig entgegensetzen. Sie haben sich stark verändert. Klar man wird älter, das ist das Eine, aber ihre offene Lebenseinstellung ist einer Bunkermentalität gewichen. Sie kapseln sich zunehmend ab und konzentrieren ihre Kraft auf den innersten Familienkern. Der letzte Schutzwall vor der Krise. Nie war der Zusammenhalt so groß wir heute. Die Familie ersetzt die sozialen Pflichten des Staates. Ohne ihre Familien wären noch viel mehr Griechen am Ende. Denn eins ist auch klar und wird von keinem bestritten: Die Armen, Kranken und Alten bekommen die Krise seit der ersten Sekunde ungebremst ab. „Das war nötig!“, schreien Talkshowgäste. Ein guter Freund hatte letztes Jahr einen schlimmen Motorradunfall. Sein Unterschenkel war komplett auf, doppelter Schienbeinbruch. Als die Ärzte ihn zunähten wollten, hörte er einen Dialog zwischen Krankenschwester und operierendem Arzt:

Krankenschwester: „Die Fäden sind abgelaufen!“
Arzt: „Seit wann?“.
Krankenschwester: „Seit Februar 2013“.
Arzt: „Die sind noch gut!“.
Mein Kumpel, noch wach wegen der Lokalanästhesie, sagte nur noch: „Hey! Ich kann euch hören!“

Was sich wie ein billiger TV-Sketch anhört ist leider bittere Realität. Das macht mich nachdenklich und hinterlässt mich ratlos. Meine Hoffnung ist, dass keiner der Protagonisten in diesem brutalen Spiel als Sterbebegleiter der EU in die Geschichte eingehen will. Ein Fünkchen Hoffnung bleibt. Ich mache mir aber keine Illusionen. Es wird ein Abenteuer werden und die Griechen müssen das tun was sie am besten können: improvisieren. Und wenn ich kein Bargeld haben sollte, werde ich halt bei meinen griechischen Verwandten ein Dach über dem Kopf bekommen. Das macht man nämlich dort so.

LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

3 Antworten

  1. Nico sagt:

    Schöner Apell an Mitgefühl, Menschlichkeit, Verständnis und Solidarität. Danke.

  2. Uli sagt:

    Es ist wirklich eine Tragödie, der Euro sollte uns doch alle näher zusammen bringen, ein Europa das sich gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft stellt. Heute scheint uns die gemeinsame Währung vielmehr zu spalten, allein wie man über- und miteinander spricht, finde ich teilweise ungeheuerlich.

    Scheinbar war die Euro-Gruppe ein reiner Schönweterverein, bei den ersten Schwierigkeiten ist sich wieder jeder selbst der nächste und man erfindet Wortungeheuer wie „Grexit“, die ein wirtschaftliches Desaster für eine ganze Nation auf Twitter-taugliche Größe eindampft.

  3. Jörn sagt:

    Ich bin auch traurig über das was in den Medien falsch berichtet wird und was dort auf dem EU-Parkett passiert.

    Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, wenn ich diese Aktion sehe und die dazugehörigen Kommentare von „normalen“ Menschen lese.

    https://www.indiegogo.com/projects/greek-bailout-fund#/story

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