„Hebammen bieten etwas, woran es in unserer Gesellschaft durch fehlende Familien mangelt.“ Interview mit Susanne Mierau und Anja Constance Gaca
Schon längst ist die Geburtsvorbereitung keine reine Frauenangelegenheit mehr. Immer mehr Väter, so auch wir, nehmen einen aktiven Part ein. Zumindest versuchen werdende Papas das. Vor allem bei der Erstgeburt sind viele Fragen offen. Unwissenheit schlägt schnell in Kaltschweiß um. Hier helfen vor allem Hebammen, offene Fragen zu beantworten. Für mich war es – im Gegensatz meinen Kompagnons hier im Blog – wichtig, frühzeitig eine objektive Instanz einzubeziehen. Ich hatte einfach keine Lust, all diese Binsenweisheiten meiner nahen Bekannten zu ertragen. Ich brauche Fakten und keine Panikmache nach jedem Rülpser. Da bin ich Pragmatiker. Schon frühzeitig schworen meine Frau und ich, nur auf unsere Hebamme zu hören und sonst auf keinen! Umso schlimmer sind die Entwicklungen, die die Ausübung des Berufs „Hebamme“ immer stärker einschränken.
Zu wenig Lohn, geringe Wertschätzung und rasant steigende Haftpflichtkosten stellen Hebammen unter starkem wirtschaftlichem und politischem Druck. Viele freiberufliche Hebammen stehen vor dem beruflichen aus. Die Väter von „Ich Bin Dein Vater“ unterstützen daher die Initiative „Unsere Hebammen“ vom Deutschen Hebammenverband. Wir sprachen mit Susanne Mierau, Kleinkindpädagogin und Familienbegleiterin (Blog „Geborgen wachsen“) und Anja Constance Gaca, Hebamme aus Berlin (Blog „Von guten Eltern“), warum Hebammen unentbehrlich sind, wie sie jungen Eltern helfen und was die dringendsten Herausforderungen sind.
Kannst du uns die Hauptaufgabenfelder einer Hebamme beschreiben?
Susanne Mierau: Hebammen haben ein sehr breites Spektrum an Tätigkeiten. Sie begleiten Geburten und unterstützen Frauen und Paare. Sie sind zuständig für die Vorsorge und haben meist viel größere zeitliche Ressourcen als Ätzte. Ich erinnere mich gerne daran, dass meine Hebammen bei den Vorsorgeuntersuchungen 30 bis 60 Minuten Zeit für mich hatten, um ausführlich mit mir über alle Belange zu sprechen bzw. auch meinen Partner einzubinden. Wann hat ein Arzt jemals so viel Zeit?
Nach der Geburt betreuen sie die Wochenbettzeit, die Umstellungen in dieser Phase und sind auch danach noch Ansprechpartnerinnen für das Stillen. Von Hämorrhoiden über Besenreißer, Milcheinschuss, Babyblues, Rollenfindung und Partnerschaftsfragen sind sie für Familien da und unterstützen durch Wissen oder Vermittlung an passende Stellen. Hebammen bieten etwas, woran es in unserer Gesellschaft durch fehlende Familien mangelt.
Die meisten denken, dass Hebammen „nur“ eine reine Geburtshilfe sind. Um ehrlich zu sein, ging es mir vor dem ersten Kind ähnlich. Was sind die Nachteile, die sich daraus entwickeln?
Anja Constance Gaca: Wenn ich noch keine eigenen Kinder habe, beschäftigt mich die Arbeit der Hebamme wahrscheinlich im Detail ebenso wenig, wie die der Erzieherin. Trotzdem ist natürlich der Begriff „Hebamme“ bekannt und für die meisten Menschen eng mit der Geburt verknüpft. Und die Geburtshilfe ist ja auch ein enorm wichtiger Teil unserer Arbeit.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Schwangerenvorsorge durch Ärzte sehr etabliert, so dass manche werdenden Eltern erst spät in der Schwangerschaft, heutzutage leider oft zu spät, von der Arbeit von Hebammen vor und nach der Geburt erfahren. Mehrgebärende melden sich wesentlich früher, oft schon kurz nach dem positiven Schwangerschaftstest. Die Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen und Hebammen im Bereich der Schwangerenvorsorge wäre sicher noch ausbaufähig.
Für werdende Eltern kann dieses Universum etwas verwirrend sein. Warum sind Hebammen unentbehrlich?
Susanne Mierau: Hebammen sind die Fachfrauen für die Geburtsarbeit, nicht die Ärzte. Aber es gibt natürlich viele andere Berufszweige, die ähnliche Arbeiten verrichten, wie Hebammen oder ähnliches Wissen haben. Es gibt aber einfach keinen Beruf, der dies auffangen kann. Die vielen einzelnen Berufssparten, die sich mit ihrem Fachwissen drum herum gruppieren wie Stillberaterinnen, Trageberaterinnen, Babykursleiterinnen, Osteopathen, Familienbegleiterinnen, Mütterpflegerinnen etc. sind die zweite Anlaufstelle, die aber nicht den ersten Blick ersetzen. Und sie sind meistens privat zu bezahlen – was für viele Familien nicht möglich ist. Zudem sind Hebammen nicht nur für die Frau und ihre Belange zuständig, sondern für die gesamte Familie. Nicht selten sind sie auch Ansprechpartnerin für die Partner.
Apropos: Warum tun Hebammen auch Vätern gut?
Susanne Mierau: Natürlich kommen mir dabei ganz persönliche Geschichten in den Sinn, die meinen Mann und unsere Hebammen betreffen. Beispielsweise wie er einmal erzählt hat, dass er bei unseren ersten Geburt im Geburtshaus große Angst verspürte, unsere Hebamme angblickte und sie ihm mit einem einfachen Zunicken diese Angst nahm. Oder wie er in die Geburten eingebunden wurde, indem er bei der Hausgeburt unseres Sohns den Kaffee für die Dammkompressen brühte und auch sonst viele Tätigkeiten zu verrichten hatte. Er wurde wirklich gebraucht.
Aber mir fallen natürlich auch andere Erlebnisse aus meiner beruflichen Laufbahn ein, die mir immer wieder zeigen, dass Geburtsvorbereitung für Väter und Paare sehr wichtig ist. Gerade auch dann, wenn es um die konkreten Abläufe zur Geburt geht. Wo ist der Platz des Partners? Was will er miterleben? Wann wird es ihm zu viel? Eine Hebamme kann im Voraus auf diese Bedürfnisse eingehen, die Vorstellung der Geburt besprechen, und so eventuell auftretende späteren Traumata entgegenwirken. Hierzu ist es natürlich wichtig, dass ein persönliches Vertrauensverhältnis besteht.
Ein guter Freund von mir hat panische Angst vor der Geburt. Er will partout nicht bei der Geburt dabei sein. Muss er denn unbedingt?
Susanne Mierau: Heute wird ja oft erwartet, dass die Partner an den Geburten teilnehmen und es steht kaum zur Diskussion, dass sie es nicht tun sollten. Dennoch kann es gute Gründe geben, dass Partner eben nicht dabei sind. Hebammen können hier vermitteln und Familien passend begleiten. Um diesen Platz des Partners dann aufzufangen, bedarf es auch einer unterstützenden Person wie einer Hebamme, die eine Eins-zu-eins-Betreuung anbieten kann.
Immer mehr Hebammen geben die Vor- und Nachsorge auf. Was hat dies zur Folge? Wie wirkt sich das auf junge Eltern aus?
Susanne Mierau: Es ist tatsächlich eine katastrophale Entwicklung. Und das meine ich nicht übertrieben. Die Auswirkungen lassen sich bislang nur schätzen, aber ich gehe als Familienbegleiterin davon aus, dass dies auch zu einer Zunahme von Problemen führt, die man erst einmal nicht mit dem Fehlen der Hebammen in Verbindung bringt: Da Hebammen sonst eine niedrigschwellige Anlaufstelle sind und Eltern die Möglichkeit haben, sich dadurch schnell an weitere Hilfen zu wenden, kann das Fehlen der Hebammenversorgung dazu führen, dass sich Probleme manifestieren. Beispielsweise bei depressiver Verstimmung im Wochenbett, bei der schnelles Handeln geboten sein kann, damit nicht eine langfristige Beeinträchtigung entsteht. Oder auch in Bezug auf Babys, die viel Schreien und deren Eltern sich erst einmal nicht trauen, sich damit an Ärtzte zu wenden oder andere Menschen.
Wo siehst du den dringendsten Handlungsbedarf? Wer muss sich hier bewegen? Politik, Krankenkassen, Versicherungsunternehmen, Eltern oder doch Hebammen selbst?
Anja Constance Gaca: Die Lobby ist da – zumindest was die Eltern angeht, die unsere Arbeit sehr wertschätzen und unterstützen. Aber leider ist der Unmut der Eltern und der immer größer werdende Versorgungsmangel noch nicht deutlich genug bei den Krankenkassen angekommen. Als Beitragszahler müssten die Eltern wohl noch viel offensichtlicher ihren Anspruch auf Hebammenbetreuung einfordern. Denn was nützt es Ihnen, wenn ihre Krankenkasse damit wirbt, dass Hebammenleistungen übernommen werden, aber gleichzeitig nicht genug Leistungserbringer zur Verfügung stehen, weil die Arbeitsbedingungen für Hebammen mittlerweile so katastrophal sind.
Auch die Politik steht in der Verantwortung, die die Hebammen 2007 in die Selbstverwaltung entlassen hat. Durch die zuvor nicht umgesetzte anvisierte Gebührenerhöhung, wurden die Hebammen schon mit einem solchen Einkommensrückstand in die Verhandlungen mit den Krankenkassen geschickt, dass sie praktisch handlungsunfähig sind. Die Krankenkassen berufen sich auf das Beitragsstabilitätsgesetz, weswegen keine angemessene Anpassung der Hebammengebühren zustande kommt.
Die eklatante Entwicklung der Berufshaftpflichtversicherungskosten in den letzten Jahren mindert zusätzlich das Einkommen der Hebamme, weswegen dieser Beruf zunehmend unattraktiver wird.
Die Lage der angestellten Hebammen sieht ebenfalls nicht rosiger aus. In den Kliniken wird häufig am Limit gearbeitet, was die Gesundheit der Gebärenden und der Babys gefährdet, aber letztlich auch die der Klinikmitarbeiter. Es gibt Häuser, wo nur noch 11 von 19 Planstellen besetzt sind. Auch da wäre es sicher gut, dass Eltern, die unter einem solchen Versorgungsmangel leiden mussten, dies an die entsprechenden Stellen weitergeben. Junge Eltern haben aber so viel im Kopf und auch zu tun, dass dies häufig nicht geschieht.
Wie konnte es soweit kommen? Haben Hebammen zu wenig Eigenwerbung betrieben?
Anja Constance Gaca: Alle Hebammen erläutern beim ersten Vorgespräch, welche Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Darüber hinaus machen wir vielleicht zu wenig „Werbung“. Aber andererseits haben alle Hebammen mehr als genug zu tun, so dass dafür auch wenig Zeit bliebe. Und gleichzeitig tut einem jede erteilte Absage leid, weil man mittlerweile nicht mehr weiß, ob diese Frau überhaupt noch eine Hebamme finden wird.
Wenn wir in der momentanen Lage unsere Leistungen noch deutlicher kommunizieren und dadurch noch mehr Anfragen erhalten, würden wir noch mehr Frauen absagen müssen. Eine wirklich absurde Situation.
Lieben Dank für dieses Gespräch!
Eine Antwort
[…] bin Dein Vater hat übrigens ein sehr interessantes Interview mit einer Hebamme veröffentlicht. Ich habe bereits 2014 einen Artikel in der Zeitschrift Natur und […]