Was mich der Zirkus über den Kapitalismus lehrte

Gemeinsames Frühstück, Zirkusbesuch mit Tochter und Patenkind und nachts die Geburt meines Sohnes – das war mein 18. September 2016. Hätte die Geburt ähnliche Automatismen, eingespielte Abläufe und generalstabsmäßig geplante Einnahmeoptionen wie der Zirkus gehabt, wären wir in drei Stunden durch gewesen und hätten als Dankeschön einen Scheck von der Krankenhausleitung bekommen. Du kannst mir nicht folgen? Dann versuche ich es zu erklären.

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Eine Woche vor dem ausgerechneten Geburtstermin hatte ich die Idee, meine Tochter und mein liebes Patenkind zum Dorfzirkus in Sürth einzuladen – meinen Heimatort im Kölner Süden. Ich war in meinem Leben nur einmal im Zirkus. Da war ich etwa fünf und lebte noch in Griechenland. Ich erinnere mich daran, dass wir ganz vorne saßen und meine Schwester einen Schimpansen auf den Schoß gesetzt bekommen hatte. Die langen Klauen des Affens machten mir Angst und ich bewunderte meine Schwester, die offenbar Spaß an diesem Monster hatte.

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So sieht es aus, wenn Kinder Angst haben

 

 

Nun war es soweit. Seit meinem Trauma Anno 1986, ging ich wieder in den Zirkus. Der Zirkusbesuch verstörte und klärte mich endgültig über die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten auf. Dräng‘ Menschen in ein System, bau‘ einen Zaun drumherum und besänftige sie mit Konsum.

Phase 1: Wer günstig kauft, kauft zwei Mal

Erwachsene 11, Kinder 9 EUR. Joah, das war schon mal ein Wort. Aber hey! Das Zelt ist riesig, Streichelzoo und Verkleidungen. Was soll‘s, gerne bezahlt. Nur gab es da ein kleines Problem. Die verschiedenen Kategorien à la Arroganz-Arena in München.
Kategorie 1 waren die Logen, die Pole-Position. Ganz vorne an der Manege. Das fand ich etwas übertrieben. Ich sah eine klassische Upselling-Methode: gleiche Leistung zu einem höheren Preis. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass jeder Act bei den Logenbesitzern vorbeiging und abklatschte; Dressurpferde zum Streicheln inklusive. Positiv formuliert kann man behaupten, dass die Logenplätze auch etwas geboten bekommen haben. Negativ betrachtet haben die Sparfüchse, wie ich, immer wieder vor Augen geführt bekommen, dass wir Stehplatzkarten beim „Volk“ hatten.
Kategorie 2 war der Oberrang und Kategorie 3, die Stehplätze ganz weit hinten (exklusive Lupe). Ich entschied mich für die goldene Mitte und buchte das Optionsmodell II.

Was mir nachhaltig imponierte: Alle Leute die dort arbeiteten, hatten mehrere Rollen. Der Fakir war Assistent der Akrobatin, der Dressurleiter war Clown, Monteur, Assistent, Fotograf und Messerwerfer in einem und die männliche Empfangsdame war der Main-Act auf dem Trapez. Jede Bewegung war einstudiert. Ein Rad griff ins andere. Der gesamte Ablauf glich einer Förderbandlogik. Henry Ford wäre begeistert gewesen.

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Phase 2: Die Pause. Oder: Das IKEA-Prinzip

Der Umbau hatte eine Pause zur Folge. Es wurde das Hochseil montiert, was eigentlich nicht lange dauerte. Das war nach 60 Minuten Show. Ein Vorhang öffnete sich und wir wurden in die große Welt der Tiere geroutet. „HIER GEHT ES ZUM STEICHELZOO!“ 1 EUR Eintritt, pro Nase!

Das IKEA-Prinzip: Du wurdest alternativlos am gesamten Angebot vorbei geroutet. Kaum gingen wir durch den Vorhang fing das Cross-Selling im Streichelzoo mit Kamelen und Lamas statt.

Tierschutz? Versucht mal mit Vierjährigen über Tierquälerei zu sprechen… Kurzum: + 3 EUR.

Mit einer Raffinesse wie ich sie nur aus Wall Street (Teil 1, der Zweite war ein Witz!) kenne, wurden Leistungen zum nahe Selbstkostenpreis (Zirkuseintritt) angeboten, um dann später margenstärkere Produkte zu verkaufen (Tierfutter, Snacks etc.,). So kam die Seilakrobatin/Tierfutterverkäuferin/Tochter/Aggressive-Leader mit mehreren Tüten Karotten um die Ecke. Genau genommen passte in eine Tüte ein halbes Exemplar. Kostenpunkt: 1 EUR. Die Marge stimmt, denn die Manege muss bewirtschaftet werden. „TIERFUTTER!! TIERFUTTER!!“. Ich versuchte innerlich bis drei zu zählen, kam aber nur bis zwei – schon standen die zwei Mädels schreiend vor mir. + 2 EUR.

Auf dem Weg zurück stand auf einmal mitten in der Manege eine einmalige Foto-Opportunity. „FOTOS IN DER MANEGE NUR 5 EUR!“. Früh gesehen, antizipiert, abgebogen, Geld gespart.

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Phase 3: Der Messerwerfer und das Fehlen einer Krankenversicherung

Der Dressurleiter und Clown war auch Messerwerfer mit einem Cowboyhut. Dieser Trick ist tricky, weil keine Krankenkasse bereit sei, die „Familienmitglieder“ des Familienunternehmens zu versichern. Den Familienbetrieb, der aus der Familie besteht, erwähne ich oft, um auch nur ansatzweise an die Häufigkeit der Moderatorin, Frau Monroe herself, anzuschließen. Was für Rapper das laszive „Ahhh“ ist, ist für Frau Monroe der Begriff Familienunternehmen. Man kann es nicht oft genug erwähnen. Wo war ich stehengeblieben? Die fehlende Krankenversicherung. Richtig. Das ist ein Problem und die Gäste müssen helfen. Die Seil- und Tuchakrobatin wurde Behind-the-Back vollautomatisiert zum Klingelbeutel. Wie ein Stab, der beim Staffellauf in No-Look-Manier überreicht wird, ging sie einmal um die Manege. Dieses Mal aber auch an unseren billigen Plätzen vorbei. Wartend auf eine Reaktion, stand sie so lange vor den Gästen, bis jemand sein Briefbeutel hervorkramte. „Helfen Sie uns, unseren Familienbetrieb aufrecht zu erhalten!“, sagte Frau Monroe im nachdenklich-bestimmenden Ton. +2 EUR.

Fazit: Was ich alles gelernt habe

Ich gehe davon aus, dass die Artisten diesen Bericht lesen werden. Ganz ehrlich, ich sehe den Effort, den Apparat und was alles dazugehört, aber teilweise kam ich mir wie in einer Tretmühle vor. Andererseits muss ich dem Zirkus Respekt zollen. Ich habe selten so ein eingespieltes Team gesehen. Da stimmte einfach alles. Gut, nicht jeder Act war Roncalli-Verdächtig, aber das muss er auch nicht. Mich haben die drei Stunden mit drei Personen 39 EUR gekostet. Popcorn und Lollys gab es nicht. Ich hatte nur 40 EUR dabei. Insgesamt wurde ich in meiner Naivität überrascht. Diese werde ich jetzt endgültig ablegen und evtl. den einen oder anderen Aspekt noch intensiver verfolgen. Denn jetzt weiß ich endlich, wie es im Kapitalismus läuft. Circus Monroe hat mir die Augen geöffnet. Dafür will ich dir danken!

LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

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