Unsere Kinderlieder

Musik ist ja weniger eine Geschmacks-, sondern eher eine Glaubensfrage. Welche Songs bestimmen die musikalische Früherziehung vom Nachwuchs? Und vor allem – wer bestimmt die Playlisten in der gemeinsamen Quality Time? Die Aufgabe: Jeder von uns sollte anhand von zwei Songs erklären, auf welche Mucke sich Klein und Groß einigen können – müssen. Und um hier mal ein bisschen Kompetenz reinzubekommen, haben wir uns direkt auch noch externe Musikexpertise eingekauft von…

Fabian Soethof (New Kid and the Blog)

Zwei Songs, die mich mit meinen Kindern verbinden? Alle und keiner!

Ein in meiner sehr kleinen Community verbreiteter Irrglaube ist der, dass unsere Kinder musikalisch spitzenmäßig früherzogen sind, nur weil ich mich beruflich mit Popmusik beschäftige. Das glauben offenbar auch Janni und Thomas von IchBinDeinVater.de. Zu Beginn ihrer neuen Podcastfolge bitten die zwei Kölsche Vögel mich in warmen Worten, einen Kurztext über Lieder, die mich mit meinen Kindern verbinden, für ihren Blog zu schreiben. Gut, der olle Janni relativiert, dass ich mich mit Musik wahrscheinlich zwar auskenne, aber keinen Geschmack hätte. Ich würde übrigens das Gegenteil behaupten, aber beides lassen wir jetzt mal so dahingestellt. Fakt ist: Unsere zwei Jungs (5 und 3) interessieren sich einen feuchten Fuzzi für „richtige“ Musik. Wir hören dafür andere.

An den ersten Song, den unser heute fünfjähriger Sohn in seinem kleinen Leben hörte, kann ich mich genau erinnern: Es war „Caught In The Briars” von Iron & Wine. Dessen Platte GHOST ON GHOST kam ein paar Monate vor Kid A, wie wir ihn online nennen, raus. Ich hatte sie auf mein Smartphone geladen und einen oder zwei Tage nach der stressigen Geburt im Krankenhauszimmer angespielt, während wir uns kennenlernten. Der beschwingte Folksound passte ideal in den Moment: Er klingt, optimistisch, lebensfroh, nahezu entspannend. Wenn ich gewusst hätte, was in den nächsten Monaten und Jahren noch auf uns zukommen würde, ich hätte gleich Slayer angemacht! Was dieses kleine neue Wesen von den Liedern hielt, kann ich bis heute nicht sagen – schreiend abgewendet hat es sich jedenfalls nicht.

Diese Reaktion auf Musikempfehlungen meinerseits hat Kid A sich im Grunde beibehalten: Als im Autoradio neulich etwa der neue Song „Hey Ma“ von meinem Lieblingskünstler Justin Vernon aka Bon Iver lief, erklärte ich ihm die Schönheit an dieser Musik und dieser Stimme und wiederholte den Namen. „Bon Iver heißt so viel wie schöner Winter“, sagte ich noch, um ihn bei der Stange zu halten. Er sprach es einmal nach, nickte und versank wieder in sein Bilderbuch.

Wenn der Racker zuhause die Wahl zwischen Hörspielen und Musik-CDs hat, würde er immer die Geschichten wählen. Manchmal lassen wir ihm keine Wahl und schicken die zerkratzten Hörspiele und meine alten Kassetten (Alf! Der kleine Vampir! Ampelmännchen!) in den „Urlaub“. Und plötzlich hört der Arme sich zwar noch immer nicht Deine Freunde, einen „Unter meinem Bett“-Sampler oder Mamas Schallplatten von The Smiths an, aber eben doch wieder diese eine, wirklich schöne Lieder-CD von „Der kleine Drache Kokosnuss“, die wir schon mit ihm hörten, als er 2 war und für uns mit zur Familie gehört.

Es gibt aber auch Musik, auf die sich Kid A und sein kleiner Bruder Kid B einigen können: Beide sind, wie gefühlt fast jedes Kind in ihrem Alter, große Fans von Serien wie „Paw Patrol“, „PJ Masks“, „Superwings“, „Feuerwehrman Sam“ und neuerdings leider auch „Dinotrux“. Deren und einige andere Titellieder können beide auswendig mitsingen, was im Falle von Kid Bs Pyjamahelden-Faible noch zu lustigen Aussprachen führt: Greg wird bei ihm zu „Decko“ anstatt zu „Gecko“, Connor wird zu „Keptboy“ anstatt zu „Catboy“. Diese Musiken machen ihnen Spaß und deshalb auch uns, und die Hoffnung auf zunehmende Kultivierung aus elterlicher Sicht muss man deshalb ja nicht aufgeben: „Duck Tales, uuh uuuuh uuhh“ summt Kid A auch schon länger vor sich her. Netflix, Kassetten und CDs sind bei uns der wärmende Ofen des Zusammenhalts unserer Familie, der früher und bei anderen mal der Fernseher war. Aber hey: Eines Tages werde ich für meine Kinder auch meine in Umzugskisten verstaute Plattensammlung vom Dachboden der Schwiegereltern holen. Wenn sie Alben von Kanye West, Pearl Jam und Alkaline Trio mal zu schätzen wissen – oder über ihren alten Vadder müde lächeln.

Und was dreht Ihr gemeinsam mit Euren Kids laut auf, Janni, Thomas und Lempi?

PapaDoc: Songs to change your life

Read all about it – Professor Green mit Emeli Sandé

Der Song ist die Single von Professor Greens 2011 erschienenen Album „At your inconvenience“.
Wenn ich meine Spotify-Statistiken ansehe, dann ist dieser Song im Laufe der Jahre in all seinen drei Versionen einer der am häufigsten gespielten. Ein Teil der Rotation geht auf das Konto von Theo. Theo liebt Musik. Musik spricht zu ihm. Rhythmus bringt ihn zum Marschieren und er merkt sich Melodien. Manchmal, wenn er im Spiel vertieft ist, singt er sie nach. Wenn ich die Songs wiedererkenne, erzähle ich ihm die Geschichte der Songs, damit er etwas mit ihnen verbinden kann. Wir haben einen kleinen Fundus. Es gibt das U-Boot Lied, das Boot-Lied, das Astronauten-Cowboy-Lied, das Eisenbahn-Romantik-Lied und ein paar mehr (Yellow Submarine, Sloop John B, The Joker, Sentimental Journey).

Dann haben wir noch diesen Song, dessen Wucht mir auch nach Jahren noch das Blut in den Adern gefrieren lässt. Auch wenn die Part-III-Version, die Ballade von Emeli Sandé, wunderbar ist, trifft diese Mischung aus Ballade und Rap so real auf mein Vater-Gen, dass ich gar nicht anders konnte, als ihn meinem Sohn näher zu bringen.

Professor Green beschreibt darin in einem genialen Flow das zerrüttete Nicht-Verhältnis, dass er zu seinem Vater hatte. Die Mühe, die er sich machte um Anerkennung zu bekommen, das Betteln um etwas Geld und die Hektik, die das immer auslöste, die Vorwürfe, aus dem Tod des Vater Profit zu schlagen und das vernichtende Urteil, dass alles, was dieser Vater je für seinen Sohn getan hat, war, es ihm schwer zu machen, ihn überhaupt mal zu Gesicht zu bekommen. „Family is something that you´ve never been to me.” Heißt es dann und man ahnt, was das für einen Jungen bedeutet.

Ich habe dann, während Theo zum Beat des Raps durchs Wohnzimmer marschierte, versucht, ihm die Geschichte des Songs zu erklären. Es hat ihn nicht interessiert. Dann habe ich ihm das Cover gezeigt. Das hat er sich lange angeschaut. Dann kam der Moment, viele lange Tage später, als er mal wieder „Songs“ hören wollte. Auf meine Frage, welchen Song er denn hören wollte, sagte er: „Wo der Junge seinen Papa sucht“.

Sloop John B – The Beach Boys

Sloop John B – The Beach Boys

Bei uns fallen ja Sätze wie: „Möchtest du die Studio-Version oder die Orchester-Version hören?“ Total sophisticated und muckerpolizeimäßig, aber eben doch die Wahrheit. Und das kam so.

Der Musik-Ethnologe Alan Lomax nahm 1935 per Field Recording eine Folkband auf den Bahamas auf, die einen Song spielten, der „Histe Up The John B Sails“ hieß. Das Stück war ein Shanty und geriet danach schnell in Vergessenheit, wurde aber seit 1950 in verschiedenen Cover-Versionen wieder zum Leben erweckt. 1965 starteten die Beach Boys die Sessions zu ihrem bahnbrechenden und wohl besten Album der Popmusik überhaupt: Pet Sounds – erschienen 1966. Ihr Mastermind Brian Wilson hatte die beste Coverversion des Songs überhaupt aufgenommen. Am 21. März 1966 veröffentlicht, verkaufte sich die Singe über 1 Mio mal.

Sloop ist ein alter Begriff für kleine, einmastige Kriegs- oder Frachtschiffe, wie sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts häufig in der Karibik anzutreffen waren. Der Song erzählt die Geschichte einer Fahrt, nämlich der von Kapitän John Bethel. Sein Sloop war mit zwei Passagieren voll besetzt. Die Dinge liefen falsch, weil alle sturzbetrunken in einen Streit gerieten und einen Hafen herbeisehnten. Ob diese Tragik-Komödie wahr ist, wissen wir nicht. Das Wrack der John B wurde 1926 vor Nassau (der Ort taucht auch im Song auf) gefunden. Auch den aus Wales stammenden John Bethel hat es wirklich gegeben.

Als ich Theo die Geschichte des Songs erzählte, habe ich die Fakten etwas gebogen. Die Sache mit dem Saufen habe ich klein geredet, die Sache mit dem Streit habe ich größer gemacht. Ihn hat aber eigentlich nur interessiert, dass da Typen mit einem Boot unterwegs waren und ein Lied darüber singen. Allein diese Tatsache, die hinreißende Melodieführung, die Hamoniegesänge, der Rhythmus und die englischen Wortfetzen, die er mitschmettert, macht Sloop John B zu einem unserer familiären Playlist-Highlights. Übrigens in der Orchesterversion, die das Royal Philharmonic Orchestra, gemeinsam mit den Beach Boys am 8. und 9. März 2018 in den Abbey Road Studios in London aufgenommen haben.  Ich hasse ja Orchesterversionen. Aber diese ist „sehr schön toll“.

Babyvater: Kindermusik? Nicht mit mir!

Wenn ich mit meinen Kindern Auto fahre läuft keine Kindermusik. Das ist die Regel. Da habe ich keinen Bock drauf. Nur in äußersten Notfällen (schreiende Kinder, Wachhalten) schalte ich mal ein Hörspiel ein. That‘s it!

M.I.A.: BAD Girls

Ich will nicht ins Detail gehen, aber es geht teilweise heftig zu Sache in unserem Familien-Van. Heavy Metal, Elektromucke, Rap – alles ist dabei, ganz abhängig von MEINER Laune! Häufig läuft meine Playlist „Girls on fire“, wo ausschließlich starke Frauenstimmen zu finden sind. Eine davon ist M.I.A.. Die Britin ist schon lange ganz weit oben auf meiner „Find ich geil“-Liste, weil sie viel ausprobiert, elektronische Einflüsse und eine Message hat, die oft an die Rapkultur erinnert. Borders ist ein gern gewähltes Lied, weil meine Tochter den Refrain gewissenhaft mitsingen kann. Wenn sie in Zukunft dieses Lied als Papas Autosong wiedererkennt, wird sie auch eine Message finden – und das trifft garantiert nicht auf jeden meiner Songs zu. Stichwort Deutschrap. Borders handelt über das Thema Flucht und Migration. M.I.A. ist ja selber als 10 jährige aus Sri Lanka nach England geflüchtet. Eigentlich nichts für Kinder. Aber wie gesagt: Solange die Kinder wach und smooth drauf sind, läuft meine Mucke!

Marteria: Links

Ein unvergesslicher Tag: Meine Tochter hatte Zahnschmerzen. Damals war sie drei Jahre alt. Wir fuhren zu einer befreundeten Zahnärztin. Auf dem Weg dahin – wieder im Auto – haute ich den Gute-Laune-Song „Links“ vom deutschen Edelrapper Marteria rein. Ich habe versucht, meine Tochter etwas aufzulockern, denn sie war sichtlich verängstigt vor ihrem Besuch beim Zahnarzt. Ich wollte sie ablenken und zum Schmunzeln bringen. Die Kernaussage des Liedes ist, dass du es mit Links schaffen kannst. Der Versuch, während der Fahrt für gute Laune zu sorgen, war ein Erfolg, der Besuch bei der Zahnärztin leider nicht. Meine Tochter weigerte sich, den Mund aufzumachen. Die Rückfahrt war dementsprechend ruhiger. Ich muss heute noch an diesen Tag denken, wenn ich das Lied im Radio höre. Marteria bedeutet für mich „Zahnarzt“. Schönen Gruß nach Rostock!

Lempi: Auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner

Mein Leben ist eine Aneinanderreihung von Kompromissen – zumindest wenn es um die Musikauswahl geht, sobald die Kinder und ich gemeinsam unterwegs sind. Eine Zeit lang habe ich es wie Janni gehalten und versucht, den musikalischen Alleinherrscher zu geben, aber dann bin ich eingeknickt. Und es gibt keinen Weg zurück – zumindest nicht ohne lautes Gezeter und Geschrei. In der Folge bin ich auf der dauerhaften Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner: Welche Kindersongs nerven mich am wenigsten? Bei welchen Erwachsenenliedern hält sich der Protest in Grenzen? Ein Track erfüllt diese Kriterien? Er kommt auf die Familien-Playlist.

Lina Larissa Strahl: Up, up, up (Nobody’s perfect)

Aus meiner Zuneigung zu Bibi & Tina habe ich ja noch nie einen Hehl gemacht: Die Hörspiele kann ich gut ertragen, die Filme (zumindest die ersten) finde ich witzig und die Soundtracks nahezu genial. Dahinter stecken Peter Plate und seine Liedschreiber aus Rosenstolz-Zeiten. Ihren „Up, up, up“-Song habe ich das erste Mal nicht einmal bewusst beim Film wahrgenommen, sondern auf einem Kindergeburtstag: Das Lied setzte ein und nach wenigen Takten tanzte eine Horde fünfjähriger Mädchen wild durch den Garten. In der Zielgruppe kommt der Sound also 100%ig an und bei mir gehen die Alben immerhin locker als „Guilty Pleasure“ durch. Bemerkenswert finde ich allerdings, dass meinen Kindern die Neuinterpretationen der Songs durch bekannte Stars wie Sido oder Olli Schulz (Album: Bibi & Tina Star-Edition) komplett gestohlen bleiben können. Nur echt mit den Film-Charakteren.

Miljö: Wolkeplatz

Es ist so einfach wie genial, geradezu die Definition vom kleinsten gemeinsamen Nenner. Was bringt jedes Jahr hunderttausende Menschen zu gemeinsamem Schunkeln, Tanzen und ungeplantem Geschlechtsverkehr? Richtig: Kölsche Tön! Und die sorgen auch für Harmonie in der Familien-Playlist. In kaum einem anderen Genre ist der Musiknachwuchs so schnell „textsicher“ (besser: lautsicher, denn sobald es zu Kölsch wird, verstehen sie kein Wort mehr) oder kann im Zweifelsfall wenigsten mitklatschen und -gröhlen: Das Erfolgsrezept aus der Veedels-Kneipe an Weiberfastnacht greift auch auf der Autorückbank, wenn wir in den Urlaub fahren. Aktueller Sessions-Hit ist auf jeden Fall der Gassenhauer von Miljö, aber auch Kasalla, Brings oder Cat Ballou sind immer gerne genommen.

So, und jetzt kommt ihr: Was ist bei euch auf Heavy Rotation?

Lempi

Der Autor Thomas "Lempi" Lemken ist Papa von zwei Töchtern. Das bedeutet: Als einziger von uns lebt er mit gleich drei Frauen unter einem Dach. Neben seiner Funktion als Leithammel, ist er Gründungsmitglied, Stammautor und Lektor unseres Blogs.

Eine Antwort

  1. Arturo sagt:

    Wir bedienen uns da fast jeden Tag bei YouTube. Genial wie viele Auswahl es da gibt, meine kleine Maus ist 2,5 und Ihr Lieblingslied ist momentan „5 kleine Fische“ (https://www.youtube.com/watch?v=dxef0GScsLc).

    Deine Auswahl ist auch interessant, aber soweit sind wir noch nicht :-). Einiges davon scheint vom Papa geprägt zu sein oder?

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