„Mit nacktem Oberkörper in der Videokonferenz“

Ein Gastbeitrag von Arne Ulbricht

„Warum hast du denn die 9 gelegt? Du wusstest doch, dass Mama Neunen sammelt!“, sagt mein Sohn zu meiner Tochter.
Wir spielen gerade Canasta. Wenn man zu viert spielt, spielt man in einer sehr lustigen Variante in Teams gegeneinander. Allerdings ist es gerade alles andere als lustig. Während meine Frau den kompletten Stapel nimmt – es ist das Ziel, den Stapel in der Mitte zu nehmen, weil man dann in der Regel viele Canastas (sieben Karten einer Sorte) legen kann -, schüttelt mein Sohn verärgert den Kopf. Eine Runde später fragt meine Tochter ihren Teampartner:
„Soll ich ausmachen?“
Nee, soll sie nicht. Mein Sohn will auch noch auslegen. Kann er aber nicht. Denn bevor er dran ist, werde ich alle meine Karten los, und das heißt: Das Elternteam hat gewonnen. Nun ist meine Tochter stinksauer.
„Du hast doch gesagt, ich soll nicht ausmachen!“
Canasta ist dann doch nicht unser Corona-Spiel geworden, wie ich im ersten Corona-Artikel auf dieser Seite angekündigt hatte. Haben wir uns als Familie in den zurückliegenden Wochen wenigstens an die anderen Vorsätze gehalten?

Der Corona-Familien-Reality-Check

  • Die Kinder sind wirklich jeden Tag um halb neun aufgestanden und haben nach Aufgaben geschaut und auch etwas für die Schule getan. (Am Wochenende durften sie bis neun im Bett bleiben.)
  • Mein Sohn hat wirklich Bücher gelesen und nicht nur gezockt. Im Westen nichts Neues hat er sogar regelrecht verschlungen.
  • Meine Tochter hat wirklich fast jeden Tag genäht und trägt nicht ohne Stolz ihre selbst genähte Kleidung.
  • Wir waren wirklich jeden Tag einmal draußen. Spazieren. Oder einkaufen. Und ich glaube auch tatsächlich, dass es fürs Abwehrsystem eine Katastrophe ist, wenn man praktisch gar nicht mehr an die „frische“ Luft geht.
  • Mein Sohn hat mittags wirklich gekocht, und wer weiß: Vielleicht hat sich durchs Corona-Kochen eine berufliche Perspektive für ihn eröffnet: Denn plötzlich gab es nicht nur Spaghetti mit Butter und Parmesan wie (zum Dauerverdruss meiner Frau) meistens bei Papa, sondern selbstgemachte Dampfnudeln, frisch zubereitete Spätzle und Pizza, die wir nicht bestellt, sondern die er belegt und in den Ofen geschoben hat.
  • Die Nerven meiner Frau bzw. der Mutter haben wir allerdings nur teilweise geschont: So sind wir manchmal ins Wohnzimmer = in ihr Corona-Zeit-Arbeitszimmer reingeplatzt – ich einmal mit freiem Oberkörper, obwohl sie eine Videokonferenz hatte –, und im Flur sah es halt aus wie immer. (Aufräumen, das ist einfach nicht unser Ding. Und der gemeinschaftliche „Osterputz“ hat dann auch eher nicht zur Harmonie beigetragen.)
  • Und haben wir wirklich viel gespielt? Geht so. Nach der letzten Partie Canasta vor allem Rummikub, aber letztendlich nur am Wochenende…
Ungefähr so muss man sich das Tae-Kwon-Do-Training in Arnes Garten vorstellen

Familienleben während Corona: Woran werden wir uns erinnern?

Natürlich stellen wir uns gerade alle die Frage: Wie lange wird es noch so oder so ähnlich weitergehen? Dieses extreme Aufeinander-Herumhocken wird in unserer Familie zumindest einen Tick weniger werden, denn ich werde hin und wieder in die Schule gehen dürfen. (Ja, dürfen. Natürlich habe ich dieses etwas öde Schulgebäude vermisst. Und wenn ich das so schreibe, bin ich mir vollkommen bewusst, dass die vielen Tausend KrankenpflegerInnen und KassiererInnen und viele andere gern einfach mal zu Hause geblieben wären oder bleiben würden und sich genauso viele einfach wünschten, ohne Verdienstausfall ebenfalls wieder langsam mit ihrer Arbeit beginnen zu können.)

Fest steht: Das Leben wird sich in ein paar Monaten – vielleicht schon in zwei, vielleicht erst in sechs – nach und nach wieder normalisieren! Und irgendwann werden sich alle Menschen an diese verrückte, seltsame, surreale und manchmal auch unheimliche Zeit zurückerinnern.

Woran werde ich dann wohl denken? An den Canasta-Streit oder den Osterputz? Nee, glaube ich nicht. Auf die Wochen gesehen waren diese Zankereien die Ausnahme. Ich werde eher daran denken, wie ich mit meinem Sohn im Garten Tae-Kwon-Do trainiert habe. Oder daran, wie ich mit den Kindern auf Bäume geklettert bin. Oder doch daran, wie ausgerechnet wir, die andere Familien ganz schön nerven können mit unserem Bio-Fraß, fair gehandeltem Kaffee und unserem Leben-ohne-Auto-Prinzip, am Karfreitag beim Burger-King-Lieferservice angerufen haben, um eine Stunde später im Wohnzimmer zu Jesus Christ Superstar Pommes und Whopper in uns reinzustopfen und dabei herrlich über uns lachen konnten.

Arne Ulbricht ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Lehrer für Französisch und Geschichte in Teilzeit. Er schreibt schon seit mehr als 20 Jahren und hat nach diversen Büchern für Erwachsene letztes Jahr sein erstes Kinderbuch veröffentlicht. Lest hier unsere Rezension zu Luna, ein Fliegenpilz im Erdbeerkleid.

Lasst euch von Arne aus seinem Luna-Buch vorlesen
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Lempi

Der Autor Thomas "Lempi" Lemken ist Papa von zwei Töchtern. Das bedeutet: Als einziger von uns lebt er mit gleich drei Frauen unter einem Dach. Neben seiner Funktion als Leithammel, ist er Gründungsmitglied, Stammautor und Lektor unseres Blogs.

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