Werdet endlich erwachsen, Leute!

Meine Antwort auf den gleichnamigen Beitrag von Uli Hauser im Stern.

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Meine Antwort ist: ja. Und nein! Ich meine, was soll das? Werden/sind wir nicht alt, weil wir Hoodies und Caps tragen? Wir fahren Skateboard und hungern für eine gute Figur und werden darum auch nicht alt? Ich habe selten so viel geballten Unfug und schlechte Beobachtungsgabe in einem Artikel zusammengefasst gesehen.

Eltern, die ihre Kinder mit in Biergärten schleppen, weil sie ihren „Urban Lifestyle“ nicht aufgeben wollen? Unfassbarer Nonsens ist das. Neulich in der PopArt Ausstellung im Museum Ludwig raunte ein intellektuelle Kampf-Kulturelle zu uns rüber, wie man so ein junges Kind (9 Monate) mit in eine Ausstellung nehmen könne. Es wolle das ja noch gar nicht. Nee, klar. Wenn es danach ginge. Hosen anziehen, Mütze aufsetzen will das Kind auch nicht immer. Dann lassen wir es also, auch um euren kulturellen Hochgenuss nicht mit einem schwitzenden Baby zu stören?

Auch die Nummer mit den Basecaps ist daneben. Also Cap ist nicht gleich Cap.  Die, die wir jungen Alten tragen, sind für Marco Reuss zu alt. Die Jugend trägt andere Caps als die Alten und sie tragen sie auch ganz anders als die Alten. Das muss man sehen können. Soziologisch ausgedrückt: Man muss die Dress-Codes dechiffrieren. Kann Herr Hauser nicht, schreibt aber drüber. Pauschal und peinlich ist das.

Wer als Kind Skifahren gelernt hat, macht es weiter, solange es geht. Warum soll das nicht auch für das Skateboardfahren gelten? Nur weil es junge Typen mit Vans oder Etnies an den Füßen tun? Mein Eindruck ist zudem der, dass bei „Latte Macchiato“-Eltern die Mikrowelle tabu ist. Die diskutieren im Kindercafé (ein Segen, dass es die gibt) über die besten Öko-Gemüsekisten und sehen in Kindern die Erfüllung. Die machen (so wie Julchen und ich) vielleicht nicht immer alles richtig, aber sie kümmern sich um ihre Kids und das ist das verdammt Wichtigste. Und das sind genau die Eltern, die sich und ihre Kinder (vielleicht sogar zu) gut/gesund ernähren wollen. Und noch etwas: Eine gute Figur schadet nur dem, der keine hat. Das weiß man, wenn man wie ich regelmäßig Mediziner interviewt.

Das Problem muss also woanders liegen und ich bekenne mich. Ich bin ein junggebliebener Alter. Ich tue einfach immer weiter so, als wäre ich 35.

Zwischenzeitlich war ich schon mal älter, vernünftiger. Ich trug edle Sakkos, rahmengenähte Lederschuhe und teure Anzüge, wertige Hemden, mehrfach gefaltete Krawatten und eine Uhr von IWC. Das Konzept war würdig, aber ich mochte mich irgendwann so nicht mehr. Seit ich selbständig bin, schon gar nicht. Ich finde es auch albern, wenn sich junge Leute so kleiden, um erwachsener zu wirken.

Erwachsen werden war ja noch nie schwierig, es passiert einfach. Schwierig ist, zu entscheiden wie man erwachsen werden will und selbst das ist eigentlich nicht schwierig.

Ob ich mich zurück zu einem Sechsjährigen degenerieren will, kann ich verneinen. Ich will aber auch nicht akzeptieren, dass ich fett, langweilig und gesetzt werden soll, um endlich erwachsener zu sein. Das einzige, wirklich einzige, was dem Erwachsenwerden Nahrung zuführt, ist die Erkenntnis der eignen Vergänglichkeit. Man ist solange jung, wie man sich für unsterblich hält. Das Erwachsenwerden beginnt in dem Moment, in dem man sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst wird; schmerzlich darüber nachdenkt, dass man vielleicht noch zwanzig Adventszeiten, Weihnachtsmarktzeiten oder Fußballspielzeiten erleben wird. Dieser Moment ist eigentlich immer der Ausgangspunkt für wie auch immer ausgestaltete Midlife Crises.

Als alter junger Vater rechne ich mir mindestens einmal wöchentlich vor, wie alt ich sein werde wenn Herr von Bödefeld sieben, 13 oder 18 ist – schön ist das nicht, und einfach wegzustecken auch nicht immer. Ich will ihm ja gerecht werden können. Und als junger alter Vater möchte ich natürlich am Geist der Zeit teilnehmen – mein Problem ist, dass ich nicht an der Playse zocken kann. Aber ob Halloween oder Fifa 23, ich würde alles mit dem Bödefelder tun, wenn ich denke, dass er daran Spaß hat und ich ihm eine Freude machen kann, wir beide eine gute Zeit zusammen haben. Auch das heißt, dem Kind ein (erwachsener) Vater zu sein. Zumindest empfinde ich das so.

Gott sei Dank bin ich mit einer recht robusten Gesundheit und der Begeisterungsfähigkeit eines Adoleszenten gesegnet. Gepaart mit relativer beruflicher Unabhängigkeit kann ich meine Lust auf Unterhaltung ebenso stillen, wie meinen Spaß an der Arbeit, die ich mir ausgesucht habe. Irgendwo zwischen Pflicht und Spaß, Schweiß und Preis, Zerstreuung und Verantwortung möchte ich meinem Sohn als Beispiel dienen. Das sieht natürlich als fast 50jähriger für vernünftige Erwachsene merkwürdig, um nicht zu sagen peinlich aus.

Ich trage gerne Hosen, deren Schritt kurz über meinen Kniekehlen endet, kaufe limitierte Nikes wie Roman, unser 26jähriger Student, trage Caps mit Emblemen meiner geliebten Borussia aus Mönchengladbach und manchmal Beanies, wie alle die jungen Nerds auch. Warum mache ich das? Weil ich peinlich bin? Ja, sicher auch. Aber ich mache das, weil ich es kann, weil ich mich hier und heute genau so und danach fühle. Mit einer 40jährigen, die Bauchfrei trägt, würde ich Gin Tonics trinken gehen und das Erwachsensein hat auch damit nichts zu tun.

PapaDoc

Der Autor Thomas "PapaDoc" Guntermann ist gleichzeitig der Namensgeber unserer Kommunikationsagentur, in der wir eigentlich alle zusammenarbeiten. Er gehört zum Gründungsteam dieses Blogs, ist Stammautor und lebt mit seiner Frau und Sohn im beschaulichen Kölner Vorort Hürth (Buuuh).

20 Antworten

  1. Toller Artikel. Wie immer musste ich viel lachen. Mein Mann Pierre ist 50 und überlegt auch machmal wie alt er ist wenn unsere Emily 20 ist (jetzt sind unsere Kids fünf und zwei).

  2. Matthias sagt:

    Ware Worte und ganz meiner Meinung. Erkenne mich hier drin auch zu gut wieder. Klasse Text.

  3. marcvm sagt:

    WORD!
    … darf man als alter junger Vater wohl noch schreiben denke ich 😉

  4. Alexander Lebon via Facebook sagt:

    Super der Doc! Wusste gar nicht, dass Du auch so gut Schreiben kannst wie der David 😛

  5. Jürgen Bolz via Facebook sagt:

    Es reicht doch, dass man ein bisschen langsamer, uncooler, besorgter und kurzatmiger wird. Bitte nicht auch noch erwachsen. Schöner Beitrag.

  6. Sehr gute Antwort. Der Stern-Artikel fing schon sehr schwach an und stürzte dann richtig ab, als Helmut Schmidt als Vorbild des vernünftigen Erwachsenen dargestellt wurde! Dabei ist er doch der Prototyp des störrischen (Ur-)Großvaters, dem man aus Respekt vor dem Alter nicht widerspricht, wenn er mal wieder Unfug spricht.

  7. Eine schöne Antwort auf den doch zu pauschalisierenden, holzschnittartigen Stern-Artikel. Der schlimmste Fehltritt war für mich Helmut Schmidt als Vorbild eines Erwachsenen darzustellen. Für mich ist der eher der Prototyp des störrischen (Ur-)Großvaters, der aus Respekt vor dem Alter unwidersprochen Unfug reden darf.

  8. Gott dieser Typ und dieser Artikel. Das schmlimmste, was ich seit langem gelesen habe. So ein unreflektierter, mauliger Bloedsinn! Vielen Dank fuer die gute Antwort darauf!

  9. Eva Ebenhan via Facebook sagt:

    Ich mache eigentlich jeden Blödsinn mit, aber erwachsen werden gehört nicht dazu. 😉

  10. Sonja Kittel via Facebook sagt:

    ganz wunderbar! guter lifestyle, den ich sehr teile. und das IMMER NOCH kinderlos…

  11. Bis der kleine sagt: neeee, in die Bar kannste nich gehen, da hängt mein Vater immer rum 😉

  12. Claudia Kramer via Facebook sagt:

    Christopher Sang

  13. Sonja Marisa Kirste via Facebook sagt:

    Vincent Kirste 😀

  14. Mic Veg via Facebook sagt:

    Es zählt einfach nur Eltern zu sein und dem Kind ein schönes Leben zu bieten. Ob es mit und/oder ohne Cap, Hose, Sakko, etc. ist, spielt dabei keine Rolle. Unser Kind liebt uns, weil Wir es sind und das völlig unvoreingenommen. Ein herrliches Gefühl!

  15. Rike sagt:

    Danke und weiterso, Alter 😀

  16. Inke Hummel via Facebook sagt:

    Genau!

  1. 14. Januar 2015

    […] dem man aus Respekt vor dem Alter nicht widerspricht, wenn er wieder Unsinn redet). Eine sehr pointierte Replik auf den Stern-Artikel gibt es bei ‘Ich bin dein Vater’, wo Papadoc argumentiert, auch […]

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