Warum Lernen Spaß machen muss

Mein Text, warum ich mein Kann-Kind nicht in die Schule schicken werde, hat einiges freigesetzt. Auf Facebook hat sich eine Lawine von Kommentaren entladen. Die meisten Stimmen stehen der Institution Schule sehr kritisch gegenüber. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Eltern ein negatives Bild von Schule haben. Viele sehen in unserem Bildungssystem das Ende der Kindheit und die Eintrittskarte in die Leistungsgesellschaft. Aber stimmt das? 

Stoff lernen statt Potential fördern

„Jedes Kind ist ein Künstler. Das Problem ist nur, wie man ein Künstler bleibt, wenn man größer wird.“ Picassos Zitat ist aktueller denn je. Der Hirnforscher Gerald Hüther unterstreicht in seinem Buch „Jedes Kind ist hoch begabt“ (Partnerlink) diese These. In Schulen würden Kinder nicht lernen kreativ zu sein, sie ver-lernen es. Wir würden unsere Kinder wie junge Erwachsene behandeln. Wir mäßigen sie unverhältnismäßig und stoppen sie in ihrer kreativen Entfaltung. Ich würde behaupten, dass nicht nur Schulen an dieser Misere schuld sind. Nein, auch wir Eltern sind es, weil wir die Verzweckung unseres Lebens 1zu1 auf unsere Kinder übertragen.

gerald-hüther_schule_bildung

Bild: Wikimedia: Chrisses wiki account CC

Richard David Precht und Jesper Juul sind da noch etwas radikaler und behaupten, dass Kinder in deutschen Schulen, unmöglich ihr kreatives Potential entfalten können. Etwas charmanter beschreibt Sir Ken Robinson diese These. Seinen 20-minütigen Vortrag „Schools Kill Creativity“ habe ich mir bestimmt schon 10 Mal auf YouTube angesehen (Link unten). Knapp 20 Millionen Views hat sein Vortrag bereits gesammelt. Ich finde zurecht. Seine Überzeugung ist, dass Kreativität heute genauso wichtig für Bildung ist wie Lesen und Schreiben. Also müsse sie gleichwertig behandelt werden.

Kinder sind bereit, etwas zu riskieren. Weil sie es nicht wissen, probieren sie es einfach. Sie haben keine Angst, etwas falsch zu machen. Ich will damit nicht sagen, dass etwas falsch zu machen bedeutet, kreativ zu sein. Wir wissen aber: Wer nicht bereit ist, einen Fehler zu machen, wird nie etwas wirklich Originelles schaffen. Wenn sie erst erwachsen sind, haben die meisten Kinder diese Fähigkeit verloren. Sie haben Angst, Fehler zu machen. In Firmen machen wir das genauso. Wir stigmatisieren Fehler. Wir haben heute nationale Bildungssysteme, in denen Fehler das Schlimmste sind, was man machen kann. Das Ergebnis ist, dass wir den Menschen ihre kreativen Fähigkeiten „weg-unterrichten“.

Keine Angst vor der Zukunft, wenn man vorbereitet ist

Im Zeitalter der Industrialisierung war unser Schulsystem bestimmt passend, aus heutiger Sicht scheint es jedoch anachronistisch. Kinder, die heute eingeschult werden, werden voraussichtlich im Jahr 2076 in Rente gehen. Wie soll unser Bildungssystem Menschen auf die Zukunft vorbereiten, wenn man nicht einmal weiß, was in fünf Jahren passieren wird? Klingt schwer. Wie sollen unsere Kinder ihre Zukunft gestalten, wenn Robotik und Automatisierungsprozesse ganze Berufszweige ad absurdem führen?

Wir sollten vorgewarnt sein, wenn Siemens-Chef Joe Kaeser, Telekom-Chef Timotheus Höttges und eine ganze Reihe Ökonomen, Manager und Unternehmen für ein Grundeinkommen plädieren, weil die fortschreitende Digitalisierung das Tempo der Jobverluste beschleunigen wird. Ich zumindest misstraue solchen moralischen Offensiven von interessengesteuerten Konzernen. Es wird neue Jobs geben, klar. Aber diese neuen Jobs setzen Kenntnisse voraus, die Stand jetzt in der Schule nicht vermittelt werden. Deutschlands wichtigste Ressource ist Bildung. Sie sollte endlich in den Mittelpunkt gesellschaftlichen und politischen Handelns gerückt werden. Nur so lassen sich die Herausforderungen der Zukunft, von denen wir heute noch gar keine Ahnung haben, meistern.

Projekte statt Fächer! Weg mit diesem Fachgewäsch!

Ich bin nicht hier, um Lösungen zu entwickeln. Dafür sind andere Stellen mit klugen Einsichten von Nöten. Wer bin ich schon, mir eine Meinung bilden zu dürfen? Das klang auch bei einigen Kommentaren auf meinen Artikel durch. Es gab aber auch andere Reaktionen auf meinen Schul-Rant. So wurden mir eine Reihe von Schulen empfohlen, die bereits heute einen sehr guten Job machen. „Schule im Aufbruch“ zum Beispiel. Die bundesweite Initiative besteht aus Schulleitern, Pädagogen, Schülern und Eltern. Statt Unterricht für Fächer wie Mathematik, Deutsch und Englisch gibt es Lernbüros, in denen die Schüler mit Hilfe verschiedener Bausteine und Unterstützung der Lehrer selbstständig lernen. Nebenfächer werden in Projekten erarbeitet. Es gibt keine Noten. Die Schüler entscheiden selbst, wann sie einen Test schreiben.

Das klingt erstmal wie Science Fiction, aber diese Schulen gibt es und sind äußerst erfolgreich. Fakt ist aber auch, dass es sich um Insellösungen und Ausnahmen handelt. Die föderale Struktur – denn Bildung ist Ländersache – tut ihr Übriges.

North Carolina hat den coolsten Lehrer

Was ich mir von der Schule wünsche

Schulen, die Potential entdecken und fördern statt mit Stoff abstumpfen. Spaß, Praxisnähe und Experten, die als Lehrer projektweise eingesetzt werden – das wünsche ich mir! Wieso müssen Lehrer ein Monopol auf Lehren haben? Was qualifiziert sie mehr als einen Bankmanager, Kommunikationsberater oder Softwareingenieur, der im Rahmen von Projektarbeit als „Pate“ eingesetzt wird? Jetzt kommt mir nicht mit fehlender pädagogischer Ausbildung. Die hatten meine Lehrer angeblich auch. Die Frage ist doch eher, wie man diese Spezialisten dazu bekommt, sich in einer Schule zu engagieren. Eine Lösung kann das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen (CSR), Volunteering und finanzielle Anreize sein. Und da wären wir bereits beim alt bekannten Problem angekommen: die Kohle!

Cash Rules Everything Around Us

Letztendlich hängt es also doch wieder stark von der Kohle ab. Schäubles „Schwarze Null“-Komplex ist für mich das Sinnbild deutscher Uninspiriertheit. Machen wir uns nichts vor. Die deutsche Bevölkerung ist alt, der Staat ist reich und es fehlt dennoch Geld für notwendige Investitionen. Nur wieso? Beinahe 30 Prozent der Ausgaben des Bundes landen alljährlich in der Rentenkasse. Glaubt mir, ich will auch alt werden und bin froh, dass wir alle länger da sind, aber das hat Konsequenzen für unsere Kids.

ausgaben-bundeshaushalt_Rente_Bildung_vergleich

Quelle: bundeshaushalt-info.de

Ein kurzes ergänzendes Gedankenspiel zu der Gegenüberstellung auf dem Bild hier oben: Die Stanford Universität in den USA hat einen Jahresetat von 4.1 Milliarden. Die Bundesrepublik einen von 4,7 Milliarden. Überspitzt formuliert: Eine Uni in den USA, gibt jährlich fast genauso viel Geld für die Bildung aus, wie das wirtschaftlich stärkste Land Europas.

Die fehlende Jugend-Lobby in Deutschland

Es liegt auf der Hand: Egal wie politisch unsere Jugend sein wird, sie hat keine Chance sich gegen die „Alten“ politisch durchzusetzen. Das kann man ohne Polemik konstatieren. Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung lag in Deutschland im Jahr 2014 bei 42,9 Jahren für Männer und 45,6 Jahren für Frauen. Bis 2030 werden wir im Durchschnitt über 47 Jahre alt sein. Unsere Kinder werden eine Minderheit bleiben und niemals eine vergleichbar starke Lobby in Berlin haben. Ihre einzige Chance ist, dass der ökonomische Erfolg von Unternehmen gefährdet ist (siehe Siemens und Telekom-Aussagen). Das klingt zwar kalt und berechnend, ist aber leider Realität. Und hier kommt die Digitale Transformation ins Spiel: Unternehmen brauchen gut ausgebildete und vor allem kreative Mitarbeiter. Sei es im Projektmanagement oder Ingenieurwesen. Wenn sie hier im deutschen Jobmarkt nicht fündig werden, dann eben im internationalen.

Das klingt nicht nur nach Leistungsgesellschaft, nein, das ist es auch! Einen positiven Nebenaspekt hat aber dieser „War of Talents“: Der Druck auf Unternehmen und Staat wird steigen. Ich persönlich will aber nicht warten bis sich die Sch**** hochstapelt. Die beste Verdauung fängt nämlich bereits bei der richtigen Ernährung an.


Sir Ken Robinsons legendäre TED-Rede „Schools kill Creativity“


 

Prince EA verklagt das Schulsystem


Lass uns in Verbindung bleiben – Unser Newsletter




LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.