Anfassen oder nicht? Es kommt darauf an…

Cant touch this - Ich Bin Dein Vater - VaterblogUnser Lempi hat neulich über seine Erfahrungen geschrieben, wenn Fremde das eigene Kind anfassen. Die vielen Kommentare und das Blog von Herzmutter haben mich dazu bewogen, eine kleine Replik zu verfassen. Bei mir ist es nämlich etwas komplizierter: Es kommt darauf an, wo ich bin; in Griechenland oder Deutschland.

Babyvater in Deutschland

Es ist schon eine strange Sache. Wenn fremde Menschen hier in Deutschland auf meine Kleine zugehen, werde ich immer etwas nervös und passe genau auf, dass der Sicherheitsabstand gewahrt bleibt. Kommt eine Person, die mir nicht gefällt, meiner Tochter zu nah, wechsel ich schnell die Szenerie. Das gleiche gilt auch für mich, wenn unbekannte Kinder Kontakt zu mir aufnehmen. Das kommt relativ häufig vor. Ich habe auch eine Theorie, warum mich Kinder so oft anstarren. Es liegt, denke ich, an zwei Dingen. 1. Ich fahre sehr viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln und 2. Ich habe positiv ausgedrückt eine ausgeprägte Charakternase. Das aber nur nebenbei. Wenn mich Kinder anstarren, erwidere ich das natürlich. Nähere ich mich der Teppichratte, schau ich mit meinem peripheren Blick Kind und Elternteil gleichzeitig an. Wenn ich merke, dass ich zu weit gehe, was noch nie vorgekommen ist, stoppe ich meine Gesichtsdisko. Es sind diese kleinen Alltagsdinge, die man beachten und einhalten muss. Aus Respekt dem Kind gegenüber. Es ist aber auch so, das man in Deutschland sehr viele inoffizielle Regeln beachten muss. Die ungeschriebenen Gesetze des Zusammenlebens können einen erschlagen. Es gibt so viele davon, dass man das Gefühl hat, man lebt in ständiger Kontrolle. Unter dem Deckmantel der guten Erziehung mäßigen wir ständig uns selber und unsere Kleinen. Das Thema treibt mich schon länger um. Ich habe auch versucht dieses Trauma 😉 in einem Blogpost zu beschreiben, was mir sehr schwer gefallen ist. Letztendlich bemerkt man diese unzähligen Verhaltensregeln, wenn man für eine längere Zeit verreist ist. In meiner zweiten Heimat Griechenland sieht die Sache ganz anders aus.

Babyvater in Griechenland

Wenn ich in Griechenland bin, ändert sich nicht nur meine Umgebung, sondern auch gewisse Merkmale meiner Persönlichkeit. Ich glaube nicht, dass ich schizophren bin, aber die äußerlichen Verhältnisse richten meinen inneres Kompass neu aus. Ich behaupte mal, dass Griechen die Privatssphäre sehr respektieren und das Konversationen trotzdem körperbetonter vonstattengehen. Kaum ein Gesprächspartner, der nicht seine Hand auf die Schulter legt und fester zukneift, wenn er seine Argumente auch dem letzten Nervenstrang zu verdeutlichen versucht. Ihr könnt Euch dahher vorstellen, wie mit Kindern und insbesondere Babys umgegangen wird. Als ich meine Kleine meinen deutschen Freunden zum ersten  Mal präsentierte, herrschte eine respektvolle Distanz, die in Erfurcht überging. Ich sah eine große Unsicherheit in ihren Augen. Erwachsene Menschen waren in diesem Moment so hilflos, wie unsere Politiker bei der NSA-Affäre. Ganz anders in Griechenland: Mein bester Kumpel Giorgos, schleuderte meine damals 16 Monate junge Tochter quer durch die ganze Wohnung, gab ihr Küsschen en masse und ließ sie nicht mehr los. Natürlich war sie verwundert, aber nach zwei Minuten wollte sie nicht mehr weg von ihm. Bis heute sagt sie Gogo, wenn wir Bilder von ihm sehen. Klar, ich weiß. Gogo ist ein Bekannter und kein Fremder, aber ich bin generell offener unterwegs. Ob Touris oder Unbekannte: Wenn ich sehe, dass Personen offen und freundlich auf meine Kleine zugehen, lasse ich es generell zu. Sind die Fremden mürrisch oder haben ein „bösen Blick“, wie wir Griechen sagen, gibt es eine Watsche. Meine Reaktion ist also eher emotional und nicht kategorisch bedingt. Zum Glück. Wenn nicht, müsste ich mich den halben Urlaub lang mit Straßenkämpfen beschäftigen. Vielleicht wäre das ja eine gute Idee, dann könnte ich meine Charakternase etwas richten lassen…

Meine persönliche Erfahrung zeigt mir, dass es einen großen Unterschied zwischen den Kulturen und es kein richtig oder falsch in dieser Angelegenheit gibt. Entscheidend sind die äußerlichen Einflüsse und das kulturelle Umfeld. Das ist also mein Pladoyer für Sowohl-als-auch und nicht für Entweder-Oder, oder anders ausgedrückt: Man kann es nicht allen Recht machen…

LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

4 Antworten

  1. Nadja sagt:

    Hallo nach Köln! Also ich konnte mich grad gar nicht einkriegen vor Freude, dass mal wieder jemand so denkt und fühlt wie ich…ich denke auch manchmal, dass ich komisch bin, weil ich mich auch in anderen Ländern anders verhalte..ich selber bin aber auch multi-kulti und sehe es vielleicht deshalb so ähnlich wie du. Ich leide auch ehrlich gesagt darunter, hier irgendwie selber nicht so locker zu sein(sein zu dürfen). Tja, man passt sich ja doch irgendwie an. Aber ich denke auch, es liegt irgendwie auch daran, dass die Menschen in anderen Ländern oft kinderfreundlicher sind und es somit normaler erscheint, wenn sie nett zu meinem Sohn oder mir sind. Es betrifft auch meine Person. Wenn mich ein spanischer Opa „anfasst“, ist es anders, als wenn es ein Nordeuropäer tut. Warum ist das bloß so? Jedenfalls schöne Grüße in meine alte Heimat! Ich lese hier jetzt erstmal weiter..

  2. Nina sagt:

    Ich zum Beispiel habe kein Problem damit solange es respektvoll und ehrlich ist. Ich ich aber an die Decke gehen könnte ist wenn andere mein Kind auf die Wange küssen. Zum Beispiel Schwiegermutter, da könnte ich innerlich kochen, oder wenn am Kind rum gezerrt wird, so nach dem Motto, Kind muss jetzt unbedingt machen was von Ihm verlangt wird. Ich selber bin auch irgendwie ein Kinder-Magnet. Wenn ich mein Kleinen zur Betreuung bringe dann will mindestens immer ein anderes Kind auf meinen Arm, süß irgendwie 🙂 Liebe Grüße

  3. Andrea sagt:

    Vor allem der erste Post hat mich veranlasst darüber doch auch noch mal zu bloggen. Wir kommen gerade aus dem Urlaub – allerdings „nur“ in Holland. Trotzdem habe ich festgestellt, dass die Menschen dort auch anders auf mein Runzelfüßchen zugehen. Weniger direkt, etwas vorsichtiger. Das hat uns allen gut gefallen.
    Meine Erfahrungen im Umgang mit Anfassen von Babys gibts hier zu lesen: http://runzelfuesschen.blogspot.de/2014/07/fremde-wollen-baby-knuddeln-was-mach.html

  4. Herzmutter sagt:

    Also ganz ehrlich (ich diskrimiere hoffentlich keinen): ich finde Südländer (Spanien bis Afrika, weiter reicht die Erfahrung nicht) auch deutlich angenehmer im Umgang mit Kindern oder sie sind halt generell freundlichere offenere Menschen. Ich werde auch nicht vorher angesprochen, aber irgendwie ist die Ausstrahlung anders, sie lächeln das Kind an und dann reden sie mit ihm oder fassen es kurz an – aber immer passiert eine Art Kontaktaufnahme vorher. Weiß auch nicht was mit den Mitteleuropäern nicht stimmt aber da stört mich das, weil es eben aus dem Nichts heraus geschieht und immer was mega unhöfliches hat. Kann es nicht genauer definieren…

    Liebe Grüße, Janina

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