Denn sie wissen was sie tun

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Peter Scholl-Latour, Gott habe ihn selig, war immer eine Bank in zeitgeschichtlichen Themen. Er wusste nicht nur viel, er war immer dabei und hat alles hautnah erlebt! Als Khomeini aus dem Pariser Exil in den IRAN einreiste und damit die islamische Revolution dingfest machte, saß er im Flieger mit der islamischen Verfassung in der Jackentasche. Als Nixon den Hoh Chin Minh Pfad in Kambodscha und Laos mit seinen B52-Bombern den Erdboden gleich machte, ohne nennenswerten Erfolg by the way, saß er auf einer Palme und zog sich Agent Orange durch die Nase. Als in den 90ern die frühere jugoslawische Republik zusammenfiel und ein grausamer Bürgerkrieg mitten in Europa entbrannte, saß er mit Stift und Zettel an der Flack und dokumentierte den Wahnsinn vor Ort. Egal wie brisant das Thema in Talkshows war, egal welche erschütternde Information er vernahm, sein stoisches „Habe ich alles erlebt“-Mantra ist zum Sinnbild des Alleskenners geworden. Zumindest für mich. Nichts konnte ihn erschüttern und sein Räuspern und Genuschel wurde zum Sinnbild der Ignoranz seinem Gesprächspartner gegenüber.

„Schau da! Ein fliegendes Einhorn auf dem Empire State Building.“ Peter: „Alles schon erlebt!“ 

„Meine dreijährige spielt fehlerfrei Bachs Präludium in C-Dur“. Peter: „Alles schon erlebt!“

„Der 1. FC Köln hat das Triple geholt!“ Peter: „Alles schon erlebt!“

Diese „Alles schon da gewesen“ und „Alles schon erlebt“-Mentalität begegnet mir fast immer, wenn ich mit Eltern älterer Kinder zusammentreffe. Immer, wenn ich ein Thema mit Kinderbezug erwähne, kriege ich unkonkrete Wissensfragmente auf einer Meta-Meta-Ebene vor den Latz geknallt, so dass mein „Problem“ zu dem degradiert wird, was es eigentlich auch ist: Eine Randnotiz des #Lebenmitkindern. Ich komme mir dann immer vor wie ein unwissender Vaterwicht, der die Härte des wahren Lebens noch nicht kennengelernt hat. Ein mit Wattebäuschen werfender Pseudoerzieher.

Der Alleskenner-Wettbewerb
Was noch schlimmer ist: Es wird immer noch einer drauf gesetzt. Es herrscht ein Wettrennen, um das größte Problem, das gelöst worden ist. Dieser Alleskenner-Wettbewerb zieht sich jetzt schon durch das ganze (junge) Leben meiner Tochter. Um ehrlich zu sein, erwische ich mich selber dabei, zu genau so einem Erziehungsroutinier zu werden. Umso älter die Kleine wird, desto häufiger. Grausam. Ich ertappe mich dabei, wie ich gar nicht richtig zuhöre, wenn mir ein Elternteil mit jüngeren Kindern etwas erzählen will. Ich winke mental schon ab, bevor die Geschichte zu Ende erzählt worden ist. „Kenn ich“, „Schrecklich“,, „Ja, das nervt“; Im Stand-by-Modus haue ich eine Floskel  nach der anderen raus. Das Phrasenschwein im Sport1-Doppelpass hätte seine helle Freude an mir! Ich hasse mich für diese Ignoranz und bewundere die Menschen, die sich wirklich empathisch in die Situation des Gegenübers versetzen können und einfach zuhören. Wie Immanuel Kant schon sagte,“der Zuhörer ist ein schweigender Schmeichler“. Und Recht hat er!

So sehr ich Scholl-Latour geschätzt habe, ich wollte nie so werden wie er. Vielmehr will ich meine Neugierde nicht verlieren, das Interesse an anderen Menschen und das vorbehaltene Zuhören, ohne gleichzeitig eine Antwort/Statement zu formulieren. Aber ja, wir werden älter, seniler und ungeduldiger, ich zumindest. Mal sehen wo das alles hinführt. Auf Khomeni und einen weiteren Bürgerkrieg in Europa bin ich zumindest nicht scharf…

LeJeck

Der Autor Janni "Babyvater" Orfanidis gehört zu unserem Stammpersonal und ist einer der Gründer von "Ich Bin Dein Vater". Der gebürtige Kölner ist Ehemann, Kommunikationsberater und Vater von zwei Kindern (2011|2016). Aber ansonsten geht es ihm eigentlich ganz gut.

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